Pilotuntersuchung zu den Fridays for Future Demos
Die Diskussion über die Berechtigung, Sinnhaftigkeit und Legalität der FFF-Bewegung der deutschen Schüler wird mit großer Intensität sowohl öffentlich wie auch privat geführt. rheingold sprach mit etwa zwei Dutzend Schülern – Teilnehmern und Verweigerern der Demonstrationen – um eine erste kulturpsychologische Einschätzung vorzunehmen.
Hoffnung auf spürbare Wirkung seitens der Schüler
Die Schüler berichten von der Hoffnung, dass ihr Protest – verbunden mit dem milden, zivilen Ungehorsam des Unterricht-Verweigerns an Freitagen – im Großen und Ganzen unserer Gesellschaft und Kultur etwas bewirken soll. Von den wöchentlichen Demos soll idealerweise ein Momentum in die Welt gehen, welche uns als Gesamt-Gesellschaft zum Innehalten und Umdenken hinsichtlich der bedrohlichen Entwicklungen bei Klima, Welternährung und Umwelt-Verschmutzung bringen soll. Die dabei vorgebrachten Argumente sind teils etwas pauschal (‚…müssen sofort aufhören CO2 in die Luft zu pusten‘), teils aber auch unterfüttert mit erlerntem Wissen sowie Fakten, um den Stand von Forschung und Einschätzung der globalen Situation. Offenbar haben die Schülerinnen und Schüler in Punkto Argumentation durchaus ihre Hausaufgaben gemacht!
Schwänzen – zwischen Politikum und schulischer Realität
Die Diskussion um die ausgefallene Schulzeit mutet dabei insgesamt sehr ‚deutsch‘ an. Während in anderen Ländern bei Protesten und Demos schon einmal Barrikaden brennen und Menschen bei Ausschreitungen ernsthafte Verletzungen erleiden, geht es in Deutschland, zumindest bei den FFF-Protesten, auffallend ruhig und friedlich zu. Und sogar die teilnehmenden Schüler hadern mit dem ‚Schwänzthema‘. Soll ich meine gute(n) Note(n) aufs Spiel setzen? Gar mein Abi versauen? Oder ist nicht gerade dieses Opfer ein Symbol für meine Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit?
So sind die Meinungen selbst unter den Schülern gespalten: Den einen ist der öffentliche wie private Diskurs um das Schwänzen geradezu Beweis genug, dass es notwendig ist, die Proteste in die Schulzeit zu verlegen. Den anderen ist dies unangenehm. Es erscheint ihnen – analog zu den Bedenken vieler Erwachsenen bzw. Offiziellen aus Politik und Schul-Ämtern – unangemessen und selbstschädigend. Obwohl mit den Zielen, Forderungen und Fragen der FFF meist einverstanden, verweigern diese Schüler die Teilnahme und nehmen, so er stattfindet, am freitäglichen Unterricht teil. Generell merkt man jedoch den an den Freitags-Demos teilnehmenden Schülern an: Ganz wohl ist dabei den wenigstens in ihrer Haut. Hieraus resultiert ein etwas zauderlicher Grundtenor, welcher bei früheren, vehementeren jugendlichen Protestbewegungen (68er; ‚Punk‘-Bewegung der 70er und 80er) so nicht überliefert ist.
Paradoxer Beliebtheitsgrad der Leaderin
Die Gallionsfigur Greta Thunberg findet offenbar in der öffentliche Diskussion und vor allem bei den Erwachsenen wesentlich mehr statt, als bei den Schülern selbst. Erstere sprechen der jungen Frau aus Schweden fast magische Einflussnahme auf ihre jugendlichen Follower zu. Die Schüler selbst verfolgen die Aktivitäten der 16-jährigen eher distanziert und mit einem gewissen Maß an Skepsis. Ist sie wirklich so selbstlos und der Sache verpflichtet wie es verlautet? Oder verfolgt sie doch eher egoistische Ziele, ist gar fremdgesteuert von einflussnehmenden Kräften? Ihre Auftritte bei der UNO oder beim Papst finden deshalb kaum positive Resonanz bei den jungen Klima-Protestlern und es ist zu vermuten, dass ein möglicher Friedens-Nobelpreis für die junge Frau eher als Beweis des „überlaufens“ ins ‚Erwachsenen-Lager‘ interpretiert werden wird.
Fragen und Forderungen treffen auf Sachzwang-Argumente
Die großen ‚Gretchenfragen‘ der Schüler an die Welt der Erwachsenen lauten: Wie haltet ihr es mit der Schöpfung? Welchen Stellenwert haben Umwelt, Klima und Natur für euch? Wie soll eine gesunde Ernährung von immer mehr Menschen auf dieser Welt gewährleistet werden? Kümmert euch überhaupt, was nach euch ist? In welchem Zustand müssen wir die Welt bald von euch übernehmen?
Frustriert wird registriert, dass die Erwachsenen, allen voran sich zu Wort meldende Politiker, stets ähnliche Argumente gegen die Protest-Schüler und ihre Fragen wie Forderungen in Stellung bringen: Weitermachen mit möglichst freier Marktwirtschaft, unbeirrter Glaube an technischen Fortschritt, Primat der Sicherung der angestammten Arbeitsplätze (vor allem in der Energie- und Automobilindustrie), das Recht auf preiswerte Flüge in die sonnigen Feriengebiete und vieles mehr.
Es tut sich hier eine Kluft auf, welche in ihrer eigentlichen Sprengkraft noch gar nicht ausgelotet ist. Analog zum Brexit, wo den jungen Briten zu spät auffiel, dass ihnen die Älteren die Zugehörigkeit zur EU weggewählt haben, wird jungen Menschen in ganz Europa bewußt, dass viele Maßnahmen, welche heute von Erwachsenen beschlossen und durchgeführt werden, ihre Zukunft in erheblichem Maße bestimmen werden. Und wenn diese Erwachsenen ihre Aufgaben und Pflichten schwänzen, dann müssen nicht sie selbst, sondern diejenigen, welche ihnen im Leben nachfolgen die (eingebrockte) Suppe auslöffeln.
Der Sache Kern: Schicksalsgemeinschaft mit unterschiedlichen Laufzeiten
Die Erkenntnis bzw. Befürchtung der langfristigen Wirkung heutiger Entscheidungen und Maßnahmen ist der eigentliche Kern der FFF Proteste.
Was die jungen Menschen heute erkennen ist, wir sitzen als Gesellschaft, egal welchen Alters, zwar alle in einem Boot, einige jedoch noch viel länger als andere. Für diesen Umstand verlangen die Schüler Mitspracherecht und Teilhabe, bei den heute für die Zukunft zu treffenden Entscheidungen. Sie wollen sich als Persönlichkeiten weiterentwickeln und fürchten, für diese Entwicklung schlechtere Bedingungen und Umstände in der Welt der ferneren Zukunft vorzufinden.
Dieses Bild einer Schicksalsgemeinschaft mit unterschiedlichen Laufzeiten ist eine neue Facette im öffentlichen Diskurs. Und sie macht aus Schülern durchaus Lehrende – und im Idealfall aus Erwachsenen Schüler bzw. Zuhörer. Die festen Säulen der Rollenzuweisung – hier die Schüler, die gefälligst lernen und nicht ihre Unterrichtszeit für schulferne Protestaktivitäten verplempern sollen, dort die (all-) wissenden Erwachsenen, welche als Experten vermeintlich alles besser können und sich nicht von irgendwelchen Vor-Abiturienten Belehrungen anhören brauchen – geraten so ins in Wanken.
Aus dem Konflikt in die Chance wachsen
Die große Chance der derzeitigen FFF-Protestbewegung besteht darin, durch ein Aufweichen von Rollen neue Fragen, Diskussionen und Lösungen zu ermöglichen.
Wenn alle ihre Hausaufgaben machten, zu deutsche Prinzipien fallen ließen, stünden sich nicht mehr zwei Lager mehr oder weniger feindlich gegenüber. Sondern man könnte voneinander gegenseitig lernen. In diesem Fall hätten sich die versäumten Schulstunden doppelt gelohnt: Wir bekämen ein neues Diskussions-Klima ohne Oberlehrer, Besserwisser und verbale blaue Briefe, könnten gemeinsam die wichtigen Schöpfungsfragen beackern, um zusammen in eine chancenreiche Zukunft zu blicken.
Und alle hätten etwas Wichtiges gelernt – in der Schule des Lebens, in der wir alle lebenslänglich auf der Bank sitzen. Frei nach dem Motto: Non Scholae, sed vitae discimus! Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir!
Heinz Grüne ist seit 1988 Geschäftsführer bei rheingold.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Erforschung der digitalen Medien sowie ihrer Auswirkungen auf den Alltag, in der Betrachtung der Seniorenkultur und der Konsumpsychologie von Lebensmitteln, mit dem Schwerpunktthema Bier.
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