Safety first oder sexy first?

Fahrradhelm für Safety

Junge Körper in Unterwäsche, quietschbunte Helme und der lose Pinselstrich einer Aufklärungskampagne: Verhüterli aus dem Schlafzimmer für mehr Sicherheit im Straßenverkehr!? Ein medialer Shitstorm verschaffte der Helm-Kampagne des Verkehrsministeriums viel Aufmerksamkeit – und ebenso viel Kritik an der plumpen, albernen und alltagsfernen Sexualisierung. Offenbar trifft die Kampagne einen wunden Punkt. Doch dem Helm tut sie keinen Gefallen.

Das rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienforschung und die rheingold Akademie haben den Fahrradhelm als psychologischen Gegenstand untersucht und machen die Schwäche der Helm-Kampagne deutlich: Sie legt den Finger in die Wunde, aber sie befreit uns nicht vom psychologischen Dilemma des Fahrradhelms.

Mit dem Fahrradhelm tauschen wir ‚Schönheit‘ gegen ‚Sicherheit‘ ein: Der Helm ist lästig und schwitzig, er drückt, ruiniert die Frisur und sieht albern aus. Aber er kann uns vor schweren Verletzungen bewahren. All das wissen alle Probanden – und leiden am schlechten Gewissen, wenn sie ‚sexy first‘ über ‚safety first‘ stellen. Die aktuelle Kampagne inszeniert ‚sexy‘, fordert jedoch ‚safety‘. So spitzt sie diffus das fundamentale Dilemma zu, löst Druck aus, aber sie bietet keinen Ausweg an.

Das Fahrrad funktioniert als Freifahrt-Vehikel:

Das Fahrrad selbst kommt in der Kampagne gar nicht vor. Die durchgeführten Tiefeninterviews weisen auf den besonderen Charakter dieses Verkehrsmittels hin: Fahrradfahren bedeutet Freiheit. Wir spüren den Wind im Haar, die frische Luft, lassen die Gedanken schweifen, sind flexibel und unabhängig – und erlauben uns kleine und große Brüche der Verkehrsregeln, die im Auto schier undenkbar wären.

‚Freifahrt‘ zwischen ‚lässig’ und ‚verlässlich‘:

Der rechte Grad an Freiheit pendelt zwischen ‚Lässigkeit‘ und ‚Verlässlichkeit‘. Das zeigt die typische Helmbiographie: Als Kinder werden wir mit Helm zu verlässlichen Verkehrsteilnehmern und nehmen uns als Jugendliche eine lässige Auszeit von der Helmpflicht. Als Eltern sind wir mal verlässliche Vorbilder und mal lässige Überflieger, doch unsere Kinder schicken wir nur mit Helm in den Verkehr. Als erwachsene Fahrradfahrer wollen wir weder spießige Prinzipienreiter noch sündige Verkehrsrowdys sein. Der Helm kommt dabei flexibel und je nach Anlass zum Einsatz.

Der Charakter einer Fahrradfahrt entscheidet:

Wenn wir uns mit dem Fahrrad in ein sportliches Abenteuer stürzen, gehört er selbstverständlich zu unserer Ausrüstung. Erst unter seinem Schutz können wir die Reize und Risiken der freien Fahrt genießen. In den reizarmen Alltags-Routinen stört uns der Helm dagegen und schränkt unsere Freiheit ein. Hier lassen wir ihn gerne zuhause.

Die qualitative Untersuchung der rheingold-Studie führte zu klaren Erkenntnissen:

Jugendliche und Erwachsene verzichten gerade bei Fahrten im Alltag auf den Fahrradhelm. In der aktuellen Kampagne rufen die passiven Schlafzimmer-Helden auf den Plakaten das Dilemma von ‚sexy‘ und ‚safety‘ wach und appellieren an unser Gewissen. Doch sie ignorieren das Gefühl von Freiheit beim Fahrradfahren und stimulieren eher Spott, Kritik und Widerstand als eine neue Lust auf den Helm. Statt pädagogisch über das Dilemma von ‚safety‘ und ‚sexy‘ aufzuklären, hätte die Kampagne es psychologisch auflösen können.

Dabei zeigte sich in der Analyse der Studie die Offenheit für den Helm in sportlichen Kontexten als ein möglicher strategischer Schlüssel: Würden Fahrten im Alltag ebenfalls als ein sportliches Abenteuer inszeniert, könnte der Helm als selbstverständliche Ausrüstung passen. Die Helmträger im alltäglichen Straßenverkehr wären nicht länger spießige Sicherheitsfanatiker. Sondern sie würden zu heroischen Abenteurern im Großstadtdschungel. So könnten sie ‚safety‘ und ‚sexy‘ verbinden – und den Helm von dem Schmuddel-Image befreien, wie es gerade neu aufgewärmt wird.

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