Working Mom Studie

Arbeitende Mütter oder Working Moms

“Die perfekte Alleskönnerin”

Das Interview erschien am 13. Dezember 2017 im KstA-Magazin.

Unsere Kultur ist geprägt von einem multioptionalen Versprechen an unsere Lebensgestaltung und unseren gelebten Alltag. Zugespitzt zeigt sich dies auch bei den Working Mums. Es gibt unendlich viele Bilder und Rollen, die heute eine Frau einnehmen und leben kann. Diese Vielfalt und diesen Reichtum an Lebensbildern lieben Frauen und zugleich leiden sie darunter. Sie finden sich inmitten konkurrierender Rollenbilder der Gesellschaft – einem wahren Bilder-Battle – wieder. Durch den kulturellen wie auch eigenen Über-Anspruch kommen Frauen unweigerlich an ihre Grenzen – und nehmen dabei nicht selten sich selbst zurück. Die Studie zeigt auf, wie stark diese faszinierenden Bilder der ‚Alles-Könnerin‘ wirken und welche Lösungs-Formen Frauen finden, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Frau Langebartels, Sie haben vor Kurzem eine Studie zum Thema arbeitende Mütter geleitet. Was hat Sie an den Ergebnissen am meisten überrascht?

Wie vehement die Frauen festhalten am Bild der perfekten Alleskönnerin. Dass sie die meisten der anfallenden Aufgaben allein managen wollen, obwohl es sie gleichzeitig stresst. Und dass sie die angebotene Hilfe von außen oft nicht annehmen wollen.

Warum lassen sich Mütter so ungern helfen?

Das ist das Paradoxe. Die Frauen sind ja nicht blöd, vom Kopf her wissen sie, dass sie delegieren müssen, dass sie Arbeit an den Partner und die Kinder abgeben sollten. Doch das Bild im Kopf der potenten Familienmanagerin ist für viele Frauen so attraktiv, dass sie oft meinen, nicht anders zu können. Sie ziehen viel Wertschätzung daraus.

Woher kommt das?

Aus dem Gesamtzusammenhang unserer Kultur. Wir stecken im digitalen Machbarkeitswahn. Alles scheint möglich, und das zur selben Zeit. Das digitale Prinzip hat das analoge längst abgelöst. Daraus ergeben sich unerfüllbare Anforderungen für jeden von uns. Für Frauen sind diese aber noch zugespitzter. Ja, sie sind froh, dass sie Kinder haben und gleichzeitig arbeiten. Die Kehrseite ist, den vielen Bildern, die sich aus diesem Lebensmodell ergeben, gerecht zu werden.

Welche Bilder sind das?

Die liebevolle Mutter, die taffe Arbeitnehmerin, die treusorgende Ehefrau, die Liebhaberin, die Bio-Einkäuferin … Die Bilder lassen sich unendlich fortsetzen und sie stehen im Wettstreit miteinander. Wir Frauen möchten sie am liebsten alle bedienen. Gleichzeitig hängen wir noch sehr an dem perfekten Mutterbild, das wir von früher kennen und transportieren dieses in unsere neue Zeit. Doch der Tag hat eben nur 24 Stunden.

Die Frauen sind also selbst schuld an ihrer Misere?

Niemand hat Schuld. Wir alle sind Kinder unserer Zeit. Unsere Gesellschaft tickt so. Wir haben einerseits unfassbare Möglichkeiten, kommen aber gleichzeitig immer wieder an unsere Grenzen. Wir können nie hier und dort zugleich sein.

Jetzt im Advent fühlen sich viele Mütter besonders gestresst.

Im Hinblick auf Weihnachten wollen viele gerade in den Familien das rund machen, was im Rest des Jahres nicht rund lief. Wenigstens jetzt soll alles perfekt sein.

Wie geht es besser?

Einfach mal ausprobieren, ob man es nicht auch anders machen kann, bei ganz banalen Dingen. Den Kuchen für das Schulfest nicht backen, sondern kaufen. Es müssen auch keine selbstgebastelten Adventskalender für die drei Kinder sein und auch als Mutter muss man nicht überall präsent sein. Sogar Plätzchenteig lässt sich heute fertig kaufen. Oder aber, man lässt sich darauf ein, gemeinsam zu backen, genießt es und macht nicht noch tausend andere Sachen nebenher.

Die Frage: Wo kann ich es mir leichter machen, ist absolut legitim. Frauen, die es ausprobieren, merken: auch dann bricht nicht alles zusammen.

Vielen Frauen fällt das aber sehr schwer.

In unseren Interviews für die Studie kam heraus: Oft verändern Frauen erst etwas nach einem schweren Schicksalsschlag. Etwa nach einer Trennung, dem Tod eines nahe stehenden Menschen oder einer Krankheit. In solchen Situationen merken wir schmerzhaft, dass wir nicht alles im Leben unter Kontrolle haben.

Wäre es nicht besser, sich schon vorher mehr Auszeiten im Alltag zu gönnen?

Manche Frauen sagten uns, dass das Wellness-Wochenende mit ihren Freundinnen für sie oft nur noch eine weitere Anforderung ist. Dass sie den Erwartungsdruck spüren: “Ich muss das jetzt mal machen, damit ich nicht nur noch zu Hause sitze.” Klarheit bringen eher Fragen wie: Ist das etwas, was ich brauche? Tut mir das gut?

Viele Frauen haben sich aber angewöhnt, mehr auf die Bedürfnisse der anderen zu achten, als auf ihre eigenen.

Ja, das stimmt, das sollten sie ändern. Ich rate, zu priorisieren: Was ist jetzt wirklich wichtig? Und daran zu denken, dass es verschiedene Phasen gibt im Leben. Was jetzt noch nicht klappt, funktioniert vielleicht im kommenden Jahr.

Im Kern geht es hier doch um das Thema Wertschätzung. Warum fehlt die uns Frauen so sehr?

Weil die Tätigkeiten im Haushalt oft einer Sisyphus-Arbeit gleichen. Am Abend sieht man kein fertiges Produkt. Ist die Wäsche gerade sauber, wird sie auch schon wieder dreckig.

Zwei Drittel Ihrer Befragten sehen sich gezwungen, gleichzeitig die Mutter- und auch Vaterrolle zu übernehmen. Was ist los mit den angeblich so neuen Vätern?

Ein Drittel der Frauen fühlen sich als alleinerziehend mit Mann. Sie lassen ihre Partner oft aber auch gar nicht richtig ran. Nicht wenige haben das Gefühl: Wenn mein Mann das macht und es funktioniert, ist das fast wie eine Kränkung für mich und macht mich scheinbar überflüssig.

Eine Frau sagte in Ihrer Studie: “Eine Putzfrau zu haben wäre für mich das Eingeständnis, es selbst nicht zu schaffen.”

Sie ging sogar noch weiter und sagte: “Es wäre das Eingeständnis, dass ich eine Schlampe bin.” Doch diese Bilder verändern sich, wir sind da gerade in einer Umbruchphase. Ich rate zu einem ehrlichen Austausch mit dem Partner und vor allem mit sich selbst. Was sind die Bilder und Ansprüche, die ich von mir habe und taugen diese Bilder noch? Macht mich das glücklich? Wenn die Bilder überholt sind, ist es an der Zeit, sie zu revidieren.

Aber gerade an Weihnachten wollen doch viele Frauen, dass alles so ist, wie immer.

Rituale sind gut und wichtig, natürlich. Trotzdem lohnt es sich, die Familie einzubeziehen. In meiner Familie darf sich jeder zu Weihnachten ein Gericht wünschen. Das wird auf einen Zettel geschrieben und wer den Zettel zieht, muss es kochen. So bereitet jeder etwas vor und jeder bekommt sein Lieblingsgericht. Immer wenn etwas zu starr wird, ist es nicht gut. Warum in einem Wahnsinns-Marathon Geschenke für alle besorgen? Auch hier kann man sich absprechen und wichteln, so dass jeder
vielleicht nur ein Teil besorgen muss.

Stehen Mütter sich oft selbst im Weg?

Obwohl sich auch gesellschaftlich noch vieles verändern muss, haben Mütter zumindest mehr Potenzial zur Veränderung in der Hand, als sie oft denken, Gleichzeitig lieben sie aber auch diesen Reichtum an Tätigkeiten. Viele wollen gar nicht den ganzen Tag im Büro sein, sondern finden die ständige Abwechslung von Außer-Haus-Arbeit und Familienmanagerin toll. Und spüren oft trotzdem Überforderung.

Viele Frauen sind extrem beschäftigt, fühlen sich aber innerlich leer. Wieso?

Weil das Leben für sie oft wie ein Fass ohne Boden ist. Es ist nie genug. Sie haben nie alles erledigt, immer steht noch etwas auf ihrer To-Do-Liste. Besser wäre eine Liste, auf der alle Sachen stehen, die schon erledigt wurden. Oder eine Liste mit den Menschen und Dingen, für die sie dankbar sind.

Was können wir von den Männern lernen?

Wie Entspannung geht zum Beispiel. Nur vier Prozent der von uns befragten Frauen konnten sich beim Nichtstun entspannen. Das haben uns viele Männer definitiv voraus.

Was hindert die Frauen denn?

Zum Beispiel die vermeintlichen Erwartungen von außen. Hat eine keine Kinder, heißt es: Ist dir ein Leben nur mit Arbeit denn genug? Hat sie Kinder und bleibt zu Hause, kommt die Frage: Ist dir nicht langweilig? Ist die Mutter berufstätig, hört sie: Tun dir deine Kinder nicht leid?

Also gilt es mal wieder, sich frei zu machen von den Erwartungen der anderen.

Ja, doch das ist leichter gesagt als getan. Ich erinnere mich an den Dialog auf einer Weihnachtsfeier, zu der eine Mutter ganz offensichtlich Kekse von Ikea mitgebracht hatte. Eine andere Mutter fragte sie mit leicht süffisantem Unterton: “Na, hast du nicht selbst gebacken? Also ich habe ja Obst mitgebracht, weil die Kinder in dieser Zeit eh schon so viel Süßes essen.” Bei der Solidarität unter Müttern ist noch viel Luft nach oben.

Ist doch schade, wenn man sich über sein mitgebrachtes Obst profilieren muss.

Auch hier geht es primär um Anerkennung. Es gibt Mütter, die vier Wochen lang den Geburtstag ihres Kindes vorbereiten. Eine Mutter berichtete uns vom Brotdosen-Battle. Jeden Tag sticht sie Brote und Apfelschnitze in Sternchenform aus. So ist ein Kampf um die kreativste Brotbox entstanden. Es stresst sie, aber angefangen hatte sie damit selber.

Befeuert wird das alles durch die vielen Blogs und Postings, zum Beispiel auf Facebook und Instagram.

Natürlich. Das liegt daran, dass es heute sehr wenig im Leben gibt, was für uns noch eine Leuchtturmfunktion hat. Alles scheint möglich. Dieser große Reichtum verlangt uns gleichzeitig aber auch vieles ab. Nach was richte ich mein Leben aus? Das muss heute jede Frau und Mutter für sich selbst entscheiden.

Das Interview führte Christina Rinkl.

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