#metoo – ein Alarmruf für Männer
Fast ein Drittel der Männer fallen heute unter den „Typ Schoßhund“, hat das Kölner rheingold Institut in einer tiefenpsychologischen Männerstudie herausgefunden. Sie haben kein klares Selbstbild und verhalten sich am liebsten brav und folgsam, aus Angst, die Liebe ihrer Frauen zu verlieren. Doch dieser Trend provoziert auch die Rückkehr des alten Machos. Ein Interview des „Kölner Stadt-Anzeigers“ mit Stephan Grünewald.
Das Interview erschien am 29. Januar 2018 im Kölner Stadt-Anzeiger.
Herr Grünewald, die Vorwürfe von mutmaßlichen Opfern sexueller Gewalt gegen den Regisseur Dieter Wedel haben in Deutschland ähnlich schockierend gewirkt wie der Skandal um den Produzenten Harvey Weinstein oder den Hollywood-Star Kevin Spacey in den USA. Welchen Reim machen Sie sich auf die Heftigkeit der Reaktionen?
Ich sehe in der #metoo-Kampagne, die Übergriffigkeiten und sexuelle Gewalt ans Licht der Öffentlichkeit bringt, die Gegenbewegung zu einer Gegenbewegung.
Das klingt kompliziert…
Lässt sich aber leicht auflösen. Die erste Bewegung im Verhältnis der Geschlechter war ein grundlegender Wandel des männlichen Selbstbilds in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Despotisches, demütigendes, auf sexuellen Lustgewinn abgestelltes Auftreten schien als Ausweis der Männlichkeit ausgedient zu haben. Der „neue Mann“ der Postmoderne definierte sich reflektiert, kommunikativ, aufgeschlossen und aufmerksam für die Bedürfnisse besonders seiner Partnerin, aber auch gegenüber den Frauen insgesamt. Doch damit ging auch eine Irritation im Selbstverständnis des Mannes einher.
Was für eine Irritation?
Dieser neue Mann weiß nicht mehr genau, wie er eigentlich sein soll, und orientiert sich deshalb sehr stark an seiner Partnerin.
Der Frauenversteher...
In unserer psychologischen Männerstudie haben wir ihn den „Typ Schoßhund“ genannt. Darunter fallen heute 27 Prozent der Männer: Sie haben kein klares Selbstbild, stellen aber jede Anwandlung der „alten Männlichkeit“ bei sich selbst unter Machismo-Verdacht. Aus Angst, die Liebe ihrer Frauen zu verlieren, verhalten sie sich häufig brav und folgsam. Zugespitzt formuliert, gibt dieser Typ Mann nett Pfötchen und zerbeißt allenfalls auf seinen kleinen Fluchten im Internet mal einen Pantoffel.
Gibt es denn eine heimliche Sehnsucht nach dem alten Macho?
Es gibt den Macho natürlich auch noch real existierend. Aber er ist eine im Aussterben begriffene Spezies, ein Dinosaurier. Wir ordnen diesem Typus nur noch knapp 15 Prozent aller Männer zu. Allerdings ruft ein weitaus größerer Anteil der Männer im Berufsleben immer noch die Muster der „alten Männlichkeit“ auf. In der Firma, im Büro mutieren viele Schoßhunde zu Leitwölfen. Hier finden sie klare Regeln und eine feste Machtbasis. Und hier agieren sie selbstsicher und gewinnend – mitunter auch übergriffig. Zu Hause aber kippen sie aus dieser Funktions-Potenz wieder in die Privat-Insolvenz.
Und die Filmbranche ist ein besonders geeignetes Feld, um diese Potenz auszuleben?
Ein Reservat für Machos, vielleicht. Auch wenn die meisten der jetzt öffentlich gewordenen Vorkommnisse schon lange zurückliegen. In den letzten Jahren beobachten wir allerdings eine Gegenbewegung zum politisch korrekten und handzahmen Mann – einen Rollback zur alten Männlichkeit.
Wie kam es dazu?
Der neue Mann hat gemerkt, dass er für die Frauen uninteressant wird, wenn er allzu anpasserisch, weichgespült und glattgebügelt daherkommt, ohne Ecken und Kanten, ohne Streitlust und Bereitschaft zum Konflikt.
Und was sind die Folgen?
Sie sind ablesbar an einer ganzen Fülle von Trends. Da ist zum Beispiel die Rückkehr des Vollbarts. Der Hipster kommt als „Bärtiger“ daher – als Bär und Tiger. Auch die Craft Bier-Mode zähle ich dazu. Während zum Beispiel das Pils immer gepflegter und sektähnlicher serviert wird, markiert das Craft Bier eine Rückkehr zum urwüchsigen und originären Gebräu. Starkes Bier für starke Männer. Starke Männer haben wir auch auf der Fußball-EM 2016 gefeiert – mit dem Island-Hype und der Auferstehung des Wikingers, der sich in dumpfen Lauten artikuliert und am Spielfeldrand wilde, archaische Tänze vollführt. In der Literatur beschreibt Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ in einer Mischung aus Grausen und Faszination den Siegeszug des – islamisch geprägten – Patriarchats, das Männern die Vielweiberei ermöglicht und ihnen im Berufsleben die lästige Konkurrenz der Frauen vom Hals schafft. Alexa, die Sprachassistentin von Amazon, reduziert die Frau auf die Rolle der Vollversorgerin – stets hörig und allzeit bereit. Und in der Politik arbeitet die AfD mit ihrem traditionellen Familienbegriff eifrig an einer Restauration des alten Männerbilds.
Donald Trump sollten Sie vielleicht noch erwähnen?
Unbedingt. Mit seinem Wahlsieg, den seine sexistischen Ausfälle nicht aufhalten konnten, ist der alte Typ Mann buchstäblich wieder zur Weltmacht gelangt. Aber auch Wladimir Putin in Russland oder Recep Tayyip Erdogan in der Türkei verkörpern dieses Rollenmodell. In dieser Situation nun ist #metoo die erwähnte Gegenbewegung und ein Alarmruf: „Passt auf, ihr Männer! Fallt nicht wieder zurück in archaische Verhaltensmuster, unter denen unzählige Frauen leiden mussten! Lasst uns im Geschlechterverhältnis einen dritten Weg suchen für den Mann zwischen Unterdrückungswahn und Duckmäusertum!“
Worin könnte der Weg bestehen?
In der Bereitschaft der Männer zur offenen Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen und zum Streit für ihre Wünsche. Aber in einem Streit auf Augenhöhe, der die Ansprüche der Frauen miteinbezieht. Nicht nur in der Politik, auch in Beziehungen sind uns die Kunst des Streits und eine Kultur des Kompromisses verloren gegangen. Wir müssen sie neu entdecken.
Das Gespräch führte Joachim Frank.
Der Psychologe Stephan Grünewald aus Köln ist Gründer des Markt- und Medienforschungsinstituts rheingold. Grünewald wurde u.a. mit den Büchern „Deutschland auf der Couch“ (2006) und „Die erschöpfte Gesellschaft“ (2013) sowie “Wie tickt Deutschland” (2019) Bestseller-Autor.
Tel.: +49 221-912 777-17
E-Mail: gruenewald@rheingold-online.de