Kolumne – deutsche Zustände

Die geschwänzte Revolte

Dieser Artikel erschien am 24. Mai 2019 im Kölner Stadt-Anzeiger.

Die geschwänzte Revolte

Die Streiks der Schüler für mehr Klimaschutz gehören freitags mittlerweile bereits zum Alltag des Landes. Sie verlaufen friedlich, einvernehmlich und finden sogar Sympathie in weiten Teilen der Erwachsenenwelt. Den tieferen Beweggründen, Fallstricken und Erfolgsaussichten dieser neuen Form jugendlichen Aufbegehrens ist das „rheingold“-Institut in einer Pilotstudie nachgegangen.

In den Tiefeninterviews mit Schülern wird spürbar, mit wie viel Herzblut sie ihre Ziele verfolgen. Mit Verve und Wissen tragen sie ihre Argumente vor. Jederzeit ist ihre Mission spürbar, die Gesellschaft zum Innehalten und zum Umdenken zu bewegen. Ihr Engagement entspringt dem Argwohn, von den Erwachsenen um ihre Zukunft betrogen zu werden. Zwar sitzen „alle in einem Boot“. Aber die vermeintliche Schicksalsgemeinschaft hat unterschiedliche Laufzeiten. Die Schüler vertrauen nicht mehr darauf, dass „die Alten“ von sich aus den Klimawandel stoppen. Diese scheinen eigennützig und, ja, kindisch nur die eigene, nahe Zukunft im Blick zu haben.

Dieses Misstrauen führt aber nicht zu einem radikalen Bruch mit der Erwachsenenwelt oder zu einem erbitterten Generationenkonflikt. Zu groß ist die Sehnsucht der Schüler, mit ihren Protesten von den Erwachsenen ernst genommen zu werden. Die Teilnahme an den Streiks hat mitunter den Charakter eines Initiationsritus. „Die Kleinen“ wollen beweisen, dass sie vernünftiger und verantwortungsbewusster als „die Großen“ sind und so zur Welt der Erwachsenen gehören. Das macht sie abhängig vom Zuspruch der Lehrer, vom Lob der Eltern oder auch vom wohlwollenden Tadel der Politiker. Hier finden sie die gewünschte Anerkennung. Gekränkt reagieren die Schüler dagegen, wenn die Polizei ihnen durch ostentative Gelassenheit das Gefühl gibt, keine ernstzunehmende Größe zu sein.

Die Hoffnung, überdies auch durch schulischen und beruflichen Erfolg zu wachsen, führt zu einer Schwänz-Ambivalenz. Jeden Freitag stellen sich die Schüler aufs Neue die Frage, wie viele Fehlstunden sie sich erlauben können, ohne ihr Abi und ihre Karriere-Ambitionen zu gefährden.

Die Teilnahme an den Streiks stiftet aber auch Gemeinschaft und lässt die Schüler Zusammenhalt erfahren. Sie gehen überwiegend in der Clique zur Demo. Auf keinen Fall wollen sie sich allein und orientierungslos in der Masse wiederfinden. Die Streiks werden so zu einem spaßbewegten Gruppenausflug, in den freudig auch Lehrer oder Eltern eingemeindet werden.

Diese Sehnsucht, in einer brüchigen Welt die Gemeinschaft zu festigen, artikuliert sich auch darin, dass die Bewegung nur vage Feindbilder hat. Pauschal werden die Altersgruppe der über 35-Jährigen oder „die Politiker da oben“ als potenzielle Gegner ausgemacht. Solche diffuse Gegnerschaft schweißt die eigene Gruppe zusammen, schafft aber keine Antipoden mit unüberbrückbaren Gegensätzen. Zumal die Schüler die ältere Generation eben nicht nur als potenzielle Verräter, sondern auch als potente Bewirker sehen: „Die können schließlich doch was verändern.“

Letztlich schwänzen die Schüler auch die Revolte. Denn nicht die Sehnsucht nach radikaler Veränderung der Verhältnisse treibt sie an, sondern vielmehr die Angst vor dem Wandel – konkret: dem Klimawandel. Sie wollen das bestehende System eben nicht umstürzen, sondern erhalten.

Die paradoxe Konsequenz, dass Stabilisierung radikalen Wandel erfordert mit dem Verzicht auf Freiheit, Wachstum, Genuss, Luxus und kollektive Eintracht, wird nicht entschieden realisiert. Das manifestiert sich auch darin, dass Greta Thunberg, Galionsfigur und einsamer Star der „Fridays for Future“-Bewegung, im Tiefeninterview von den meisten Jugendlichen buchstäblich ausgeblendet wird. Vordergründig wird sie als „Marionette der Erwachsenen“ kleingeredet. Hintergründig schrecken die Befragten vor den großen und schmerzlichen Einbußen zurück, die Gretas entschiedener Kampf gegen den Klimawandel mit sich brächte.

Dieses Zurückschrecken vor der letzten Konsequenz gibt den Streiks etwas Zauderndes. Das friedlich-fröhliche Einvernehmen von Schülern, Eltern, Lehrern und zum Teil auch Politikern schafft lediglich eine Betroffenheits-Symbiose, die die Hoffnung auf eine bessere Klima-Zukunft vage aufrechterhält und kurzfristig eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten schafft. Die Schüler demonstrieren ihre erwachsene Vernunft und bekommen die Anerkennung der Erwachsen. Die Erwachsenen bauen auf die nächste Generation, ohne von ihr zu konkreten Opfern genötigt zu werden.

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die Bewegung im unentschiedenen Kuschelkurs austrudelt oder ob sie durch radikalere Forderungen einen Generationenkonflikt riskiert, der tatsächlich den gesellschaftlichen Bequemlichkeitskonsens angreift. Diesen polarisierenden Streit würde das Land brauchen, um vorwärtszukommen und in Sachen Klima aktiv zu werden.

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