Die Bedingungen für Innovationen sind gut – besonders mit Ausklang der Covid 19-Krise. Psychologisch ist der Mensch grundsätzlich innovativ: wir werden von unbewussten Spannungsfeldern angetrieben, sind immer auf der Suche nach neuen Produkten, Marken und Erlebnissen.
Diesem ‚Hunger‘ nach Neuem wird der Markt häufig nicht gerecht. Innovationen weisen seit Jahren konstante Flopraten zwischen 70-80 % (Konsumgüterindustrie) auf. Wesentliche Gründe für das Scheitern sind:
- Fehlende Vogel-Perspektive: Innovationen entstehen in kollaborativen Prozessen zwischen Auftraggebern, Agenturen, Marktforschung. Dafür muss man sich aus dem Tagesgeschäft heraus- und als gemeinsames ‚Inno-Team‘ Zeit nehmen, was zu wenig geschieht
- Fehlende Ausrichtung an Kundenbedürfnissen: viele ‚geniale‘ Ideen scheitern an der fehlenden Überprüfung an Kunden-needs. Diese müssen wirklich in ihrer Tiefe verstanden werden
- Fehlende Systematik im Innovationsprozess: Erfolgreiche Innovationen benötigen eine systematische Entwicklung. Dazu gehört ein strukturierter Forschungsprozess (s.u.), in dessen Verlauf Prototypen entwickelt, überprüft und zur Marktreife gebracht werden.
Wie gelingen erfolgreiche Innovationen?
5 Markenawards in den letzten Jahren – rheingold begleitet seine Kunden bei Innovations-Entwicklungen systematisch und ist dabei häufig erfolgreich. Wesentlich für den Erfolg ist dabei der strukturierte Forschungsprozess, der auf jeden Kunden und seine Marke genau zugeschnitten wird.
In diesem Prozess werden drei Ebenen berücksichtigt, die für den Erfolg von Innovationen maßgeblich sind:
- Trend-Ebene: aktuelle Kulturströmungen aufgreifen
- Psychologie des Produktbereichs
- Marken-Passung
1. Trend Ebene
Bei der Suche nach Innovationen sollte man immer das Ohr am Puls der Gegenwartskultur haben. Relevant sind dabei nicht kurzfristige Trend-‚Strohfeuer‘, sondern größere, kulturelle Strömungen, die eine gewisse Substanz und Langlebigkeit aufweisen.
Allerdings führt reine Trend-Folgschaft nicht automatisch zum Erfolg. Trends aufzugreifen macht besonders dann Sinn, wenn sie mit Markt und Marke des Auftraggebers korrespondieren.
Rheingold begleitet die Marke Frosch seit 25 Jahren bei Strategie, Produktentwicklung und Innovationsprozessen. Frosch greift sehr erfolgreich den Nachhaltigkeits-Trend auf, der für den Haushaltsreinigermarkt besonders relevant ist. Mit Frosch muss man keine generalstabsmäßigen Boden-Offensiven vollbringen (dafür steht ‚Der General‘), sondern man putzt entspannter und mit gutem Gewissen. Denn man putzt nicht nur seine Wohnung, sondern man putzt für die Umwelt gleich mit. Dieses -in der Nachhaltigkeit begründete- Wohlfühlmoment mit der Marke wurde genutzt, um eine echte Produktinnovation zu entwickeln, mit der Frosch in ein neues Produktsegment vordringen konnte: unter der Marke Frosch Oase kamen Lufterfrischer auf den Markt, die für ein angenehm duftendes Wohlfühlambiente zuhause sorgen und die den Markenaward 2008 gewannen. Die umfassende Nachhaltigkeitsorientierung der Marke führte dann 2020 zum Gewinn des awards für die beste Nachhaltigkeitsstrategie. Frosch versöhnt Mensch und Natur und vermittelt Nachhaltigkeit nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Genuss und menschlichem Antlitz.
Am Puls der Zeit sind auch die Start-Ups im Bereich Craft-Biere. Sie greifen den Trend Authentizität und Rückbesinnung auf. Die Konsumenten (v.a. jüngere) zeigen einen gewissen Überdruss an den großen Marken und suchen das Besondere und Ursprüngliche. Die kleinen Craft-Bier-Startups, mit ihren persönlichen Gründungsgeschichten erzeugen Nähe und Vertrauen – Werte, die im globalen Maßstab immer mehr verloren zu gehen scheinen.
Es muss aber nicht jede erfolgreiche Produktinnovation bestehende Trends aufgreifen. Innovationen können auch rein aus der Psychologie des Produktbereichs und der Marke heraus entwickelt werden.
2. Psychologie des Produktbereichs
Um auf Ideen für Innovationen zu kommen oder um bereits existierende Innovations-Ideen zu überprüfen, muss der Produktbereich in seiner psychologischen Tiefe verstanden werden. rheingold ist seit über 30 Jahren darauf spezialisiert: die in sich widersprüchlichen, zu einem großen Teil unbewussten Sehnsüchte und Motive der Verbraucher aufzudecken.
Nivea hat mit der In-Dusch Body Lotion eine Produktinnovation entwickelt, die auf einem tiefen Verständnis der morgendlichen Vorgänge im Badezimmer basiert. In zweistündigen rheingold Interviews haben uns die Probanden den kompletten Ablauf ihrer Morgenroutine geschildert: Während der Vorgang des Duschens als wohlig-warm, geborgen und angenehme Fortsetzung der träumerischen Nachtverfassung empfunden wurde, war mit dem Auftragen der Bodylotion ein kühles Ankommen in der Realität verbunden. Body Lotion steht für die erste Alltagsanprobe – nüchtern wurden die Problemzonen ins Visier genommen und das Eincremen als Pflichtübung absolviert. Hier entstand die Idee, die Alltagsanprobe mit dem Angenehmen zu verbinden. Eine Probandin sagte: „Wäre es nicht schön, wenn das Auftragen einer Bodylotion so angenehm wäre wie das Duschen?“ Herausgekommen ist dann eine pflegende Body Lotion, die während des Duschens aufgetragen werden kann und so nicht aus der träumerisch-wohligen Verfassung herauskatapultiert. Voraussetzung ist, dass R&D Technologien in ihrer Pipeline hat, um solche Innovationen umsetzen zu können.
Das Nivea-Beispiel zeigt, dass die Motive für die Produktverwendung meist unbewusst – und in sich widersprüchlich und gespannt sind. Innovationen sind die Antwort auf den immer wieder neuen Wunsch, die immanenten Widersprüche im Produktbereich auszusöhnen:
- Mit der In-Shower-Lotion gelang es Nivea, den kühlen und unangenehm realistischen Auftrag der Body Lotion mit der angenehm-wärmenden Verfassung des Duschens zusammenzubringen.
- Im Bereich der salzigen Snack-Produkte geht es um die Spannung zwischen würzig-fettiger Verwöhnung und dem Wunsch nach nicht-industrialisierter, ursprünglicher, gesünderer Ernährung – die Chipsmarke Naturals von Lorenz ist eine Antwort darauf.
- Bei Schokolade geraten Verbraucher in den Konflikt zwischen kindlich-süßem Verschmelzen-Wollen und dem Erhalt der erwachsenen Form. Ritter Sport hilft mit seinem knackig-sportlichen Markenauftritt vor dem Versacken, Milka bringt mit seiner lila Umverpackung einen wachmachenden Verfremdungs-Effekt in die schmelzige Schokoladenwelt. Hohe Kakaoanteile bringen auf der Produktebene ein erwachsenes Moment hinein.
2020 hat rheingold für family butchers den deutschen Wurst und Schinkenmarkt untersucht. Der Markt ist von einem zunehmenden Preisverfall bestimmt, die Wahrnehmung der Verbraucher von einer ständigen Verfügbarkeit und Über-Versorgung mit Fleisch und Wurst. ‚Laute‘ Bewegungen wie Veganismus und Vegetarismus beunruhigen die Branche.
Die Studie hat gezeigt, dass der Konsum von Fleisch und Wurst auf der einen Seite vom essentiellen Bedürfnis nach Zuführung von Lebenskraft (symbolisch durch die Aneignung der animalischen Kräfte des Tiers) geprägt ist. Das war immer auch mit Schuldgefühlen (Tötung des Tiers) verbunden, die aber erst durch die Vermassung und Verbilligung von Fleisch ein kritisches Niveau erreicht haben. Der ganze schuldhafte Kreislauf ist in den Blick gerückt: Tierwohl, Abholzungen zum Anbau von Tierfutter, CO2-Problematik etc.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist es, der Vermassung entgegenzuwirken. Rheingold hat sechs verschiedene Innovationsfelder für den Fleisch- und Wurstmarkt entwickelt, die allesamt den Markt aufwerten und dabei jeweils verschiedene ‚Fleischtypen‘ ansprechen: ‚Raubtiere‘, ‚Wurst-Romantiker‘ und ‚Unschulds-Lämmer‘ sind drei dieser Wurst-Typen, die am POS durch jeweils eigene Inszenierungen angesprochen werden können. Diese innovativen Inszenierungs-Felder werten den Wurst- und Schinkenmarkt auf, wirken der lieblosen Vermassung entgegen und generieren eine neue Wertschätzung für die unter Beschuss stehende Branche.
3. Marken-Passung
Schließlich ist wichtig, dass eine Innovation möglichst gut zur Marke passt bzw. den Markenwerten nicht entgegenläuft.
Für die Fruchtsaftmarke Rotbäckchen hat rheingold einen maßgeschneiderten Innovations-Prozess durchgeführt. Die Traditionsmarke hatte trotz großer Bekannheit und Sympathiewerte einen stagnierenden Umsatz. In der tiefenpsychologischen Analyse konnten die Gründe dafür und die Ansatzpunkte für Innovationen herausgearbeitet werden: Rotbäckchen stagnierte, weil die Marke auf der einen Seite einen großmütterlich-autoritär wirkenden Allheilmittel-Anspruch ausstrahlte: die Verwender fühlten sich bevormundet vom Heils-‚Diktat‘ der Marke. Hierzu addierte sich eine enorme sinnliche Verführungskraft: der blutrote Saft, die rot-glühenden Bäckchen des Mädchens, die sämige Konsistenz strahlten eine solche Heils-Potenz aus, dass die Verbraucher sich die Marke vom Leib halten wollten; Mütter beispielsweise boten ihren präpubertierenden Töchtern -aus unbewusster Menstruationsabwehr- diesen blutbildenden Saft nicht mehr an. Die Zugangsbarriere und zugleich der Ansatzpunkt für Innovationen lag also im psychologischen Grundkonflikt eines ‚Allheilmittels‘: dem umfassenden Bevormundungsanspruch der Marke und in ihrer überstarken sinnlichen Verführungskraft – was einen starken Entzauberungs- und Selbstbestimmungsdrang gegenüber der Marke auslöste.
Die Verführungskraft konnte relativiert werden, indem die Marke veralltäglicht wurde: durch die Einführung von Schorlen oder einem Kinderpunsch-Getränk wurde der magische Zauber der Marke abgemildert bzw. verdünnt. Der Bevormundungsanspruch eines Allheilmittels wurde relativiert, indem die Marke zeitgemäß funktional ausdifferenziert wurde: es wurden verschiedene neue Produkte für Körper, Seele und Geist entwickelt, wodurch die Konsumenten wieder das Gefühl von Wahlfreiheit hatten. Resultat des Innovationsprozesses war ein Umsatzwachstum von 2000% und und der Gewinn des German Brand Award 2020 für innovative und kreative Markenführung.
Fazit
Beim Gedanken an Innovationen stehen Kunden immer vor den Fragen: wo anfangen, was haben wir bereits im Köcher, wie können wir Bedingungen für eine erfolgreiche Innovation identifizieren, wie können wir einen zielgerichteten Inno-Prozess aufsetzen und zu einem Erfolg kommen?
Die immer dynamischer und kompetitiv werdenden Märkte zwingen zu hohem Innovationsdruck. Z.T. wird dann nach ‚Versuch und Irrtum‘ vorgegangen, z.T. wird auf standardisierte Innovations-Prozesse in der Marktforschung zurückgegriffen, in der Hoffnung, eine Absicherung aus dem Markt zu erhalten.
Standardisierte Prozesse greifen aus unserer Sicht zu kurz. Man kann die individuellen Gegebenheiten eines Marktes, einer Marke und der Verbraucherseele in einem Markt nicht nach einem Schema betrachten.
rheingold entwickelt auf der Grundlage von Kundenbriefings einen maßgeschneiderten, kollaborativen Prozess, der psychologische Verbraucherwirklichkeit, die Marke und die praktischen Machbarkeiten zusammenbringt. Entwickelte Prototypen werden immer wieder in den Prozess einbezogen und ‚am Markt‘ auf Erfolg getestet. Wirklich erfolgreiche, ‚auf Herz und Nieren‘ geprüft Innovationen sind das Ergebnis dieses Aufwands.
Frank Quiring, Diplom-Psychologe, ist Mitglied der Geschäftsführung beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold. Die Arbeitsschwerpunkte von Frank Quiring liegen in den Bereichen Verpackungen, Food/Getränke sowie Kulturpsychologie. Quiring ist einer der Autoren der rheingold-Jugendstudien, die regelmäßig die Befindlichkeiten, Themen und Trends der Jugend unter die Lupe nehmen.
Tel.: +49 221-912 777-69
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