Psychologisches Paradox der Nachhaltigkeit

Warum Menschen nachhaltig leben wollen, aber innere Widerstände verspüren

Stephan Grünewald im Interview

Der Klimawandel bedroht unsere Existenzgrundlagen. Warum fällt es Menschen trotzdem so schwer, umweltbewusst und nachhaltig zu leben?

Im Moment erleben wir, dass sich durch zahlreiche Krisen auch das gesellschaftliche Klima wandelt. Nehmen wir die Heizverordnung, sie empfinden die Menschen als einen Eingriff in ihre Autonomie, sie fühlen sich ohnmächtig. Debatten über das Heizen knüpfen an die Sorgen des letzten Sommers an, an die fast archaische Angst vor dem Blackout, vor Kälte und Dunkelheit.

Das müsste doch die Menschen noch mehr motivieren, sich nachhaltig zu verhalten. 

Wir haben ein grundsätzliches psychologisches Problem mit der Nachhaltigkeit. In unseren Studien wird immer wieder deutlich, dass der Wunsch nach Nachhaltigkeit eine konservative Sehnsucht ist: Die Welt soll so bleiben, wie wir sie seit Kindertagen kennen. Da geht es um konservieren, um erhalten, um bewahren, um eine Welt, die mit Geborgenheit verbunden ist. Wir können die Welt jedoch nur bewahren, wenn wir sie umgestalten. Das nenne ich das Paradox der Nachhaltigkeit.

Doch wenn die Menschen solche Ängste vor einem Blackout haben, warum haben sie dann keine Angst vor den folgenschweren Konsequenzen des Klimawandels?

So verrückt das klingt, aber der langsame Anstieg der Temperaturen hat psychologisch fast eine beruhigende Wirkung, jedenfalls wenn wir es mit der Schockwirkung vergleichen, die die Eskalationslogik des Ukrainekrieges birgt. Auch eine exponentielle Logik wie bei den Corona-Zahlen regt uns mehr auf, polarisiert mehr. Beim Klimawandel haben wir eine lineare Logik: die Temperatur steigt um 1,5, Grad in so und so vielen Jahren. Diese Linearität wirkt scheinbar berechenbar.

Es geht den Menschen bei der Linearität wie dem Frosch im Mythos: Wirft man ihn ins kochende Wasser, springt er panisch heraus und rettet sich so. Setzt man ihn jedoch in lauwarmes Wasser und verkocht ihn dann linear, dann bleibt er hocken und lässt sich nach und nach verkochen. Das beschreibt drastisch die psychologische Falle, in die wir gerade tappen. Viele freuen sich sogar gerade über das milde und heizkostensparende Klima.

Muss also noch stärker an die Vernunft appelliert werden?

Die Frage ist, ob diese Appelle die gewünschte Verhaltensänderung überhaupt bewirken können. Gerade wenn es um globale Klimaziele geht, dann berührt das die Menschen nur schwer. Nachhaltigkeit hat nach unseren Erkenntnissen eine sehr selbstbezügliche Seite. Am besten funktionieren die Ansprachen, wenn sie Bezug zum eigenen Leben und Umfeld haben. Für viele bedeutet Nachhaltigkeit vor allem mehr Regionalität.

Das eigene Leben ist also ein Hebel in der Kommunikation. Wie sieht es mit einem Aufrütteln aus?

Es braucht auch eskalierende Momente, um die Menschen zur Verhaltensänderung zu motivieren. Momente, in denen der Klimawandel sichtbar und greifbar wird. Das Ahrtal-Hochwasser hatte auf jeden Fall eine alarmierende Wirkung. Aber ein singuläres Ereignis reicht noch nicht.

Die Letzte Generation versucht ja mit ihren Aktionen genau das: die Menschen aus ihrer Entspanntheit aufzurütteln.

Aus psychologischer Sicht ist die Letzte Generation eine notwendige Metarmophose von Fridays for Future – diese Bewegung haben wir vor einigen Jahren untersucht und junge Aktivist*innen und Eltern auf die Couch gelegt. Fazit: Die Jungen sagten, wir wollen einen Weckruf für die Älteren starten, denn die haben die Macht und die Kompetenz etwas zu ändern. Und die Erwachsenen sagten: Wir sind froh, dass da mal eine junge Generation auf die Straße geht und auf die Probleme hinweist. Wenn die später Macht und Kompetenz haben, werden sie es ändern. Man war sich einig in der Betroffenheit, hat aber die Verantwortung vom einen auf den anderen und damit in die Zukunft verschoben.

So entstand eine Art einvernehmliche Betroffenheitssymbiose, die sich auch darin manifestierte, dass die jungen Leute am liebsten händchenhaltend mit Eltern oder Lehrern demonstrieren wollten. Die Letzte Generation ist daher eine folgerichtige Version des Protestes. Sie riskiert den Konflikt und traut sich, sich unbeliebt zu machen.

Der lange Zeit stillgelegte Generationenkonflikt ist letztendlich ein Motor der Entwicklung: neue Visionen entstehen erst durch die Dialektik des Streits. Das erzeugt natürlich Reaktanz, aber ohne diese Reaktanz gibt es auch keine visionäre Erneuerung.

Aber erzielt denn die Letzte Generation die erhoffte Wirkung mit ihren Aktionen?

Das Kleben an der Straße hat auch eine interessante Symbolkraft. Die Gesellschaft klebt an ihren alten Bildern und Vorstellungen und jetzt führt das Kleben zum Steckenbleiben, zum Stillstand des Verkehrs. Das Problem wird zwar so deutlich vor Augen geführt. Aber diese Demonstration führt auch zu einer Problemverschiebung. Die Protestierenden werden als Problem gebrandmarkt, das sich buchstäblich loslösen lässt, während die Klimakrise als ferne, vielleicht unlösbare Krise erscheint. Die Gefahr ist, dass die Demonstrierenden mehr und mehr zum Sündenbock werden, da sie angeblich im Kampf gegen den Klimawandel das gesellschaftliche Klima vergiften.

Gibt es noch weitere psychologische Faktoren bei der Wahrnehmung des Klimawandels?

Das Klima ist etwas, zu dem die Menschen fast ein religiöses Verhältnis haben. Klima ist das, was uns umgibt, Klima umhüllt uns. Aus dieser Perspektive ist es Ausdruck der Schöpfung oder des Göttlichen. Nicht umsonst ist der erste Reflex sozialer Interaktion, über das Wetter zu reden, für das im Volksglauben ja der heilige Petrus verantwortlich ist. Klima ist sowas wie ein atmosphärischer Urgrund, der uns alle verbindet. Aus dieser Religiosität heraus gibt es zwei mögliche Umgangsformen mit dem Klimawandel. Zum einen der Ruf nach Klimagerechtigkeit, der aus der Logik von Schuld und Strafe kommt. Die Überflutungen und Dürren sind die Rache eines alttestamentarischen Gottes, der uns für die Sünden an der Schöpfung bestraft. Das macht Angst.

Und die zweite Umgangsform? Das Streben nach Klimafairness ist eher eine neutestamentarische Herangehensweise. Der Klimagott ist versöhnend und ausbalancierend: nach Regen, folgt Sonnenschein, nach der Kälte kommt wieder die Wärme. Hier folgt das Klima einem beständigen am wohlwollenden Wandel. Damit dieses Wohlwollen erhalten bleibt, müssen auch die Menschen wohl wollen und zu Korrekturen, Opfern und Anstrengungen bereit sein. Das Setzen auf Selbstwirksamkeit und Mitgestaltung bei der Lösung der Klimaprobleme, erscheint mir erfolgversprechender als die Logik von Schuld und Sühne. Die Veränderung des Ernährungsverhalten, wie beispielsweise der Verzicht auf Fleisch, greift zudem magische Formen der Selbstwirksamkeit auf, die oft den Kindern vermittelt werden. Wenn alles Essen auf dem Teller aufgegessen ist, wird das Wetter schön. Die Menschen werden nur daran glauben, den Klimawandel stoppen zu können, wenn sie selber etwas dazu beitragen können, etwa durch die Änderung des Mobilitätsverhaltens, durch andere Ernährungspräferenzen oder durch neue selbst bestimmte Heiz- oder Duschrituale


 

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