Woher wissen Autohersteller, was ihre Kunden in zehn Jahren fahren wollen? Sebastian Buggert vom Kölner rheingold Institut ist Experte für tiefenpsychologische Markt- und Trendforschung.
Das Interview mit Sebastian Buggert erschien im stern.
Herr Buggert, die Entwicklung eines neuen Automodells dauert Jahre. Woher wissen die Hersteller heute, was die Kunden in der Zukunft fahren wollen? Eine Neuentwicklung kostet mitunter mehr als eine Milliarde Euro – die will kein Unternehmen in den Sand setzen.
Der berühmte Blick in die Zukunft. Für die Menschen ist es grundsätzlich schwer, sich die Zukunft vorzustellen oder auch darüber Auskunft zu geben, welche Bedürfnisse man in Zukunft haben wird. Insofern kann man die Kunden nicht einfach fragen, welche Autos sie in fünf bis zehn Jahren fahren wollen. Besser ist es aus unserer Sicht, die unbewussten Motive der Kunden zu analysieren, die Kaufentscheidungen oder Markenpräferenzen zugrunde liegen – indem man herausfindet, welche psychologische Funktion, welcher emotionale Benefit ein Auto oder eine Marke für den Befragten hat. So können wir dann auch Veränderungen und Trends identifizieren und viel eher fundierte Prognosen abgeben.
Wie finden Sie in den Gesprächen konkret heraus, was der Kunde will?
Unsere Eins-zu-Eins-Gespräche dauern zwei Stunden und werden von Diplompsychologen geführt. Wir lassen uns dabei die Kaufentscheidungen, die Abwägungen, aber auch die Auto- und Mobilitätserlebnisse sehr genau und möglichst lebensnah beschreiben. Wie kam es zum Kauf des Autos, wie ist es, damit zu fahren, wann macht das Fahren Spaß, wann weniger? Darüber erfahren wir auch viel über Unzufriedenheiten mit aktuellen Produkten und Angeboten. Interessant ist außerdem, welche Innovationen die Verbraucher aufgreifen und entweder kaufen oder sich auch nur damit beschäftigen. Indem wir die tieferen Gründe dieser Entwicklungen sehen, zeigen sich uns psychologische Trends, die sich auf die Zukunft auswirken.
Autos werden zu rollenden Smartphones, heißt es. Will das der Kunde?
Die Digitalisierung ist nicht nur ein technischer Trend, sondern auch ein psychologischer. Wir stellen in unserer Trendforschung fest, dass sich das gottähnliche Allmachtsversprechen des Internets – also auf alles immer und überall zugreifen zu können – auch auf andere Produktbereiche überträgt. Das, was ich mit meinem Smartphone an Einfachheit, unmittelbarem Einfluss und Personalisierung erlebe, wird zum Maßstab auch für die Mediennutzung, die Dienstleistungsbranche und zunehmend auch für Autohersteller. Interessant ist im Übrigen, dass das Internet für eine globale Vernetzung steht – für eine Art Gemeinschaft, der wir uns anschließen, mit der wir uns sicher und unterstützt fühlen, von der wir uns, weitgehend unbewusst, wie von einem Alltagsnavi führen lassen. Dieser Wunsch nach Führung nun steht im Kontrast zur klassischen Automobilität. Denn da geht es ja darum, am Steuer zu sein und selbst über Richtung und Tempo zu entscheiden. Unter diesem Gesichtspunkt wird sich auch der Blick aufs Auto, wird sich die Mobilität generell verändern.
Autos seien „Persönlichkeitsmarkierer“, heißt es auf Ihrer Homepage. Was bedeutet das?
Das Auto ist im Grunde eine Art blechernes Gewand, in das man komplett einsteigt und mit dem man sich in einer bestimmten Art und Weise in der Öffentlichkeit präsentiert. Das heißt aber auch, dass das Auto eine starke Festlegung bedeutet. Und damit tun sich die Menschen heute zunehmend schwer. Die Online-Welten funktionieren modular, sie sind flexibel und lassen sich vielen Lebenssituationen anpassen. So gesehen ist Carsharing eben nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch sinnvoll. Auch die Mobilität wird smart werden, damit ist zu rechnen.
Sebastian Buggert ist Diplom-Psychologe und Mitglied der Geschäftsführung bei rheingold. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Handel, die Medien sowie die Dienstleistungs- und Finanzwirtschaft. Er ist Experte im Bereich Digitalisierung und beschäftigt sich seit langer Zeit intensiv mit den Einflüssen bzw. Chancen des digitalen Wandels sowohl für die Märkte als auch für die qualitative Marktforschung.
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